Über das Projekt

 

parisWas passiert, wenn Menschen die Chance haben, öffentliche Flächen mitzugestalten? DU BIST AM ZUG ist ein wissenschaftliches und soziales Projekt, welches auf unserer Vision vom öffentlichen Raum als einem Ort der freien individuellen Äußerung, Kreativität und Teilnahme basiert. Wir glauben, dass der öffentliche Raum nicht nur von Stadtplanern, Eigentümern und Werbenden gestaltet werden sollte, sondern von Menschen, die ihn jeden Tag erleben. Wir stellen uns Städte vor, die von ihren Bewohner*innen gestaltet werden – Städte, die Menschen einladen, ihre Beiträge zur Collage der urbanen Landschaft hinzuzufügen und sie somit lebenswerter für alle zu gestalten.

Du bist am Zug - Piloprojekt in Berlin, 2022

Wir haben das Experiment DU BIST AM ZUG erstmalig in Berlin gewagt. Erwünscht waren alle Beiträge, die sich im Rahmen geltender Gesetze bewegten. Das Projekt hatte nicht den Anspruch, die eingereichten Beiträge auf irgendeine Weise zu bewerten. Stattdessen luden wir dazu ein, persönliche Botschaften in die Collage der Stadtlandschaft einzubringen. Von Juli bis August 2022 waren 1500 von Berliner*innen gestaltete Plakate in der ganzen Stadt zu sehen.

Die Vielfalt der Beiträge hat uns begeistert und wir möchten an dieser Stelle einige Ergebnisse unserer Auswertung des Experiments teilen. Wir haben sechs zentrale Themen identifiziert:

 

Kreativität

Die meisten Teilnehmer*innen reichten Beiträge ein, die irgendeinen Aspekt ihrer Kreativität zeigten: Zeichnungen und Gemälde in verschiedenen Techniken, Collagen aller Art, Kunstinstallationen, digitale Kunstwerke, Skulpturen, Gedichte, selbst entworfene Designs und ein selbst geschneidertes Kostüm, sowie Fotos, die die Teilnehmer*innen beim Tanzen, Singen, Spielen von Musikinstrumenten oder beim Performance zeigen.

  • anneken
  • jochen_schlick
  • tobias_luck
  • maik_zehrfeld
  • ligia_fascioni
  • helga_wimmer

Politische Botschaften

Die zweitgrößte Kategorie umfasste politische Botschaften verschiedener Art. Die meisten von ihnen setzten sich für Gleichberechtigung im Allgemeinen ein oder wandten sich gegen bestimmte Arten von Diskriminierung - die Diskriminierung von LTGB-Menschen, Frauen sowie kranken, behinderten, psychisch kranken, introvertierten und übergewichtigen Personen. Darüber hinaus erhielten wir Beiträge, die darauf abzielten, bestimmte Krankheiten - wie Diabetes und Depressionen - sichtbarer zu machen. Besonders bemerkenswert war dabei die Zahl der an ME/CFS erkrankten Menschen.

  • Natalie Rosenke
  • silke_schwarz
  • anonym

Weitere zentrale Themen waren Umwelt- und Tierschutz sowie Antikriegsbotschaften – einige gegen Kriege und für den Frieden im Allgemeinen, andere speziell mit Bezug auf den Krieg in der Ukraine.

  • jennifer_simon
  • larissa_schwarz
  • viktor_yermolenko

Fotos von Natur, Tieren und urbanen Landschaften

 

Diese Kategorie war genauso groß wie die zweite. Wir erhielten Bilder von Bäumen, Blumen und anderen Pflanzen sowie von verschiedenen Landschaften – Bergen, Wäldern, Feldern, Seen, Flüssen und Meeren. Einige Teilnehmer*innen schickten Bilder von Vögeln, dabei waren Tauben, ein Rotkehlchen, eine Ente, ein Reiher und ein Pfau. Andere reichten Fotos von

Tieren ein, darunter ein Waschbär, ein Eichhörnchen, ein Grashüpfer und – wenig überraschend – viele Katzen und Hunde. Wir haben auch Bilder von urbanen Landschaften erhalten, die meisten davon von deutschen Städten.

 

  • y9zd1h4i
  • gvaaddsk
  • db2ddmtk
  • 0isy-qg
  • xumx6eyo
  • qh6zk-4x

Einblicke in die persönlichen Welten der Teilnehmer*innen

Die nächste Kategorie bestand aus Beiträgen, die einen Einblick in die persönlichen Welten der Teilnehmer*innen ermöglichten. Wir erhielten Fotos von den Teilnehmer*innen, von ihren Familien, Freunden und Haustieren sowie von ihrer intimen Umgebung. Einige Teilnehmer*innen teilten persönliche Geschichten – darunter Geschichten von Krankheiten, sexuellem Missbrauch, Krieg und Flucht, aber auch positive Erlebnisse, zum Beispiel wie sie eine Liebe oder ein neues Zuhause fanden, wie sie Schwierigkeiten überwunden oder Spaß hatten. Andere schickten Botschaften an bestimmte Personen – darunter ein Gedicht zum Gedenken an die verstorbene Oma und zwei Heiratsanträge. Darüber hinaus teilten viele Teilnehmer*innen Bilder und andere Kunstwerke ihrer Kinder.
  • Cloud Cukkoo
  • Dirk Jericho
  • Gulnaz Sagitova
  • Rajah
  • Anonym
  • Kaspar

Berlin

Eine fünfte Kategorie umfasste Beiträge, die der Stadt Berlin gewidmet waren. Wir erhielten Bilder von verschiedenen Orten und aus verschiedenen historischen Zeiten sowie Collagen zum Thema Berlin. Die Teilnehmer*innen schickten Gedichte über Berlin, Texte über ihre Liebe zu dieser Stadt und darüber, wie sie die Menschen verbindet, jedem das Gefühl gibt, zu Hause zu sein, sowie wie vielfältig, unkonventionell und inklusiv sie ist.
  • thomas_bulgrin
  • Christoph Drews
  • Conny Wischhusen
  • Julia Zakharov
  • Kateryna Yesipova
  • Sabrina Blumenthal

Inspiration, Begrüßungen, Komplimente und Ratschläge

Die letzte Kategorie umfasste Botschaften, die darauf abzielten, Inspiration, Komplimente und Ratschläge zu geben sowie einfach zu begrüßen. Viele Beiträge in dieser Kategorie empfahlen, sich Zeit zu nehmen, den Moment zu leben und den aktuellen Zeitpunkt als den richtigen wahrzunehmen. Andere enthielten Begrüßungen - zum Beispiel wünschten einen guten Tag oder fragten "Wie geht es dir?". Weitere Beiträge rieten dazu, Mut, Geduld und Solidarität zu haben, kleine Träume zu erfüllen, statt den großen hinterherzulaufen, Grautöne zu ertragen und sogar Gurken einzulegen. In diese Kategorie fielen auch inspirierende Zitate wie "Fürchte dich nicht vor den Dummen, die nichts wissen, fürchte dich vor den Schlauen, die nichts fühlen" (Erich Kästner) und "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar". (Antoine de Saint-Exupéry).

  • Angelo Favia
  • Birgit Kunz & Mona Schmidtke
  • Christina Jachow
  • Gil Cohen
  • Noel Eto
  • Anonym

Einige Kommentare der Teilnehmer*innen


Viele Teilnehmer*innen erzählten über ihre Beiträge und ihre Motivation für die Teilnahme am Projekt, und wir möchten einige ihrer Kommentare an dieser Stelle teilen.

hagenHagen ist schwerst mehrfachbehindert und hat Schwierigkeiten mit der Handmotorik. Er hat "Mama" gemalt in einer seiner Lieblingsfarben. Für ihn und uns ein Meisterwerk, das gern mehr Menschen sehen sollen.

anonym

Mein Kater ist so hübsch und ich finde mehr Leute sollten ihn sehen.

felix_gunther

Ich bin Mathematiker an der Technischen Universität Berlin und beschäftige mich unter anderem mit winkeltreuen Abbildungen und ihren Diskretisierungen. Das Bild zeigt eine winkeltreue Abbildung einer Chrysantheme und verbindet auf beeindruckende Weise Mathematik und Kunst.

heike_scholz

Mit meinem Bild des Hinterkopfes eines Freundes wollte ich ihn überraschen. Außerdem sah seine Frisur durch seinen Wirbel aus wie das Yin & Yang-Zeichen.

constanze_lorenz

Es ist eine wunderbare Möglichkeit, die Menschen zu inspirieren, einen Funken Schönheit und Poesie in ihre Herzen zu bringen, anstatt sie mit konsumanregenden Werbungen zu überschütten.

minou_martin

Ich hab ein Werk namens „komplimentedusche“ ausgewählt welcher den Betrachter*innen ein Kompliment übermittelt welches nichts mit der äußerlichen Erscheinung zu tun hat.

 

Wie geht es weiter?

DU BIST AM ZUG hat eine große Menge an Daten erhoben, die wir nun verarbeiten und in einem wissenschaftlichen Artikel - und dann in einem Buch - präsentieren. Zugleich suchen wir nach weiteren Möglichkeiten, ähnliche Projekte durchzuführen – in Berlin und anderswo.

Mehr lesen

Unsere Vision

 

DU BIST AM ZUG ist Teil unserer Forschung zum Thema Meinungsfreiheit und öffentlicher Raum.

 

Was ist Meinungsfreiheit?

Theoretisch haben alle Menschen ein gleiches Recht, sich frei zu äußern. Doch in Wirklichkeit haben nur wenige Individuen die Möglichkeit, sich auf eine Weise zu äußern, die ein breites Publikum erreicht. Der Zugang zu Massenmedien ist stark mit politischer und wirtschaftlicher Macht verbunden. In den sozialen

Medien erreichen die Botschaften vor allem die eigenen Bekannte und Gleichgesinnte. Museen und Galerien stellen nur Werke berühmter Künstler aus.

Die öffentlichen Räume der Stadt, wo wir alle täglich aufhalten, bieten die besten Möglichkeiten, sich zu äußern und wahrgenommen zu werden. Doch sind diese Räume heutzutage von Werbung, politischen Botschaften und beauftragter Kunst dominiert. Das individuelle Recht auf freie Äußerung bleibt somit ein theoretisches Ideal.

DU BIST AM ZUG strebte danach, diese Lage – auch wenn nur für eine kurze Weile – zu verändern indem es Menschen in Berlin eine Bühne – eine echte Chance, sich im öffentlichen Raum frei zu äußern – bat. Gleichzeitig ließ es die Menschen in Berlin erfahren, was ihre Mitbürger*innen mit ihnen teilen möchten. Wir hoffen, mit unserem Projekt eine neue Art von sozialem Diskurs zu starten – einen wahrhaftig inklusiven und egalitären Austausch, welcher von kommerziellen und politischen Interessen frei ist.

Wem gehört der öffentliche Raum?

Theoretisch uns allen, aber was bedeutet das genau? Die praktische Bedeutung ist, dass wir alle diesen Raum zugreifen dürfen – wir benutzen ihn täglich auf dem Weg zu Arbeit, um Freunde zu treffen, einzukaufen oder auf eine andere Weise die Zeit zu verbringen. Wir können eine Statue in einem Park bewundern oder uns wundern, was ein Stück modernen Kunst bedeuten könnte.

Wir alle spielen eine passive Rolle der Konsumenten unserer eigenen Stadt – wir können sie benutzen zu pendeln, einzukaufen, zu arbeiten – aber am öffentlichen Raum, den wir alle theoretisch besitzen, können wir nichts ändern und nichts Neues drin kreieren. Während Werbung und Graffiti um unsere Aufmerksamkeit kämpfen, bleiben die meisten Stadtbewohner unsichtbar.

Jetzt stell Dir eine andere Stadt vor – eine Stadt, dessen öffentliche Räume die Botschaften ihrer Bewohner tragen, dessen Landschaften als eine sich ständig verändernde Collage zahlreicher Stimmen (wieder)geschafft werden. In dieser Stadt sind die öffentlichen Räume tatsächlich öffentlich – besuch sie, und Du wirst die Welten der Stadtbewohner begegnen, lass Deinen Beitrag, und die Anderen werden auch etwas über Dich erfahren können.

 

collage

 

DU BIST AM ZUG ist ein erster Schritt in Richtung dieser imaginären Stadt. Er ließ etwas Raum für freie Äußerung und Kreativität lassen. Durch dieses erste Experiment zeigten wir auf, dass der öffentliche Raum interessant, bunt, lustig, besinnlich und berührend werden kann, wenn Menschen eine Chance haben, ihn mit den eigenen Äußerungen zu gestalten.

 

clet_abraham_naples

huskies_wholecar_berlin

fish

no_nation

street

femicide